Der (Arbeits)Alltag in Japan ohne der berühmten „rosaroten Brille“

ein Gastbeitrag von Elisabeth Fellner

Viele Japanbegeisterte beginnen sich auch irgendwann einmal für die japanische Sprache zu interessieren. Man fängt an Hiragana und Katakana zu pauken, später auch Kanji, sammelt Geld oder hat das Glück ein Stipendium zu erhalten für erste (längere) Japanaufenthalte, fordert sich heraus mit offiziellen Sprachtests (JLPT etc.) oder beginnt ein Japanisch- Studium bzw. besucht private Kurse.

Meine berufliche キャリア – (Karriere) in Japan begann jedenfalls mit der Liebe zu Japanisch. Schließlich erreichte ich ein gewisses Level, an dem ich soviel Energie und Zeit in Sprachfähigkeiten investiert hatte, sodass ich mein Wissen auch beruflich in Japan einsetzen wollte.

Arbeitschancen für Ausländer

Während und nach diversen Praktika in Japan folgten zweifelnde Monate, in denen ich mir oft nicht mehr sicher war, ob ich als Europäerin wirkliche eine Chance am japanischen Arbeitsmarkt hatte oder ob ich mich überhaupt den Arbeitsbedingungen in Japan aussetzen wollte. Denn viele Klischees sind wahr: lange Arbeitszeiten, unterdrückter Individualismus oder die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts sind alltägliche Phänomene.
Letztendlich gelang mir mit etwas Glück der Einstieg in ein japanisches 大手企業, おおてきぎょう, ootekigyou – (Großunternehmen) mit nur wenigem europäischen Personal.

Eine neue Arbeitswelt

„Wenig“ bedeutet, dass ich gemeinsam mit einem weiteren deutschen Kollegen in ein firmeninternes Trainingscenter mit 72 japanischen 新人, しんじん, shinjin – (Neuling) gesteckt wurde. Ein firmeninternes Trainingscenter ist keine Seltenheit in einem japanischen Großunternehmen, da von den Neulingen nicht erwartet wird, bereits Fachwissen zu besitzen, auch wenn diese meist Absolventen sehr bekannter japanischer Universitäten sind. Tatsächlich fehlen vielen solcher Absolventen noch die geforderte Haltung eines 社会人, しゃかいじん, shakaijin – (社会 = Gesellschaft, 社会人= vollwertiges Mitglied der Gesellschaft).

Alle Shinjin vom Trainee-Programm

All you can drink

Lehrreich war für mich weiters die Erkenntnis, dass auch für nicht-Japaner die berühmten unsichtbaren aber doch streng vorhandenen Regeln und Grenzen zwischen 先輩, せんぱい, senpai – (Senior) und 後輩, こうはい, kouhai – (Junior) zu beachten sind. Letzteres wird unter anderem oft Thema beim abendlichen 飲み会, のみかい, nomikai – (Trinkgelage), denn nicht selten hinterlässt es einen schlechten Eindruck, wenn man vergisst, das Glas eines Seniors wieder mit Bier zu füllen, nachdem dieser es ausgetrunken hatte.

Während eines Trinkgelages kommt auch die immer noch praktizierte Differenzierung und Diskriminierung zwischen dem weiblichen und männlichen Geschlecht zum Vorschein. Nicht nur einmal wurde ich als Mitte zwanzig Jahre alte europäische Frau dazu aufgefordert, mich doch neben einem oft älteren männlichen 偉い人, えらいひと, eraihito – (einflussreichen Menschen) zu setzten, Ablehnen ist dabei oft keine Option.

Arbeiten, bis der letzte Zug kommt

Trotz allem ist hier noch die Loyalität und Arbeitsmoral der Japaner zu loben. Aus europäischer Sicht in vielen Fällen zu extrem ausgeprägt – dennoch ermöglicht diese Moral ein „Miteinander“ statt einem „Gegeneinander“, wie man es oft aus Europa kennt. Produktivität und Sinnhaftigkeit stehen dabei allerdings leider im Hintergrund und nicht selten ist es der 終電, しゅうでん, shuuden – (letzter Zug um ca. Mitternach) mit dem man nach Hause fährt.

In diesem Sinne: お疲れ様した!おつかれさまでした!otsukaresama deshita – (Gruß beim Verlassen der Arbeit).

Vielen Dank, Elisabeth, für deinen Einblick in die japanische Arbeitswelt erstens als Ausländer und zweitens als Frau!

Elisabeth arbeitet nun bereits 3 Jahre in Japan im Consultingbereich. Während ihrem Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien hat sie so wie ich auch einige Zeit an der Keio University in Tokyo 慶応義塾大学 (けいおうぎじゅくだいがく, keiou gijuku daigaku) studiert bzw. vor ihrem Studium ein Austauschjahr an einer japanischen Highschool verbracht. Ihr Beispiel zeigt, dass die berufliche Zukunft in Japan zwar nicht immer einfach ist, aber es gibt definitiv mehr Möglichkeiten als die oft empfohlene Variante, als Englischlehrer in Japan versuchen, Fuß zu fassen.

Also wie du bei Elisabeth gesehen hast – es ist möglich! Und wenn es dein größter Wunsch ist, dann mach ihn wahr! Du solltest dir aber sehr wohl darüber im Klaren sein, dass es kein Zuckerschlecken sein wird. Gerade in Tokyo wartet ein langer Weg mit den Öffis auf dich – ich bin damals 2 Stunden für eine Richtung gefahren – in den typischen überfüllten Zügen. Der Mythos von wenig Urlaub stimmt. Die Lebenserhaltungskosten – zumindest die Miete in Tokyo und Umgebung – sind hoch. Die Arbeitszeiten lang und das Gehalt, das du am Anfang bekommst, könnte je nach Job-Position nicht das Umwerfendste sein. Und zuerst musst du mal eine Arbeitsstelle finden.

Vorbereitung ist alles

Mach dir ein realistisches Bild von deinem zukünftigen Traumland, bevor du mittendrin draufkommst, dass Japan und besonders seine Arbeitswelt doch nicht so deinen Erwartungen entspricht. Am besten durch einen kleinen Japan-Urlaub oder auch durch einen Working-Holiday-Aufenthalt. Versuche, Freunde zu finden, die in einem Bereich arbeiten, wo du später auch arbeiten willst und die dir Tipps geben können. Und arbeite konstant an deinem Japanisch – das ist der Dreh- und Angelpunkt. Unter N2-Niveau (besser N1) wirst du nur sehr schwer an einen Job kommen.

Empfehlenswert ist dafür natürlich ein hohes Niveau der japanischen Sprache (mindestens JLPT N2, besser N1) und eine solide Ausbildung, die auch in Japan gefragt ist. Und du musst dir im Klaren sein, dass es ziemlich oft der letzte Zug sein wird, mit dem du nach Hause fährst und Urlaub Seltenheitswert hat (wobei es in Japan genügend Feiertage gibt). Am besten, du machst dir ein erstes Bild von Japan und seiner Kultur direkt vor Ort, bevor du ein Arbeitsleben in Japan anstrebst. Praktika und Einstiegsjobs kannst du auch hier finden: korpa.org.

Noch mehr zum japanischen Arbeitsleben kannst du hier nachlesen.