Am 22.09.2016 durfte ich an einer Podiumsdiskussion in Zusammenarbeit mit der Capital Bank zum Thema „Business Etikette – Japan und Österreich im Vergleich“ teilnehmen. Österreicher und Japaner aus den verschiedensten Wirtschaftsbereichen nahmen daran teil. Dieser Blogpost soll als Zusammenfassung dienen bzw. inkludiert er auch meine 2 Cents zum Thema.
Hier eine kurze Auflistung der Sprecher:
- Frau Ayumi Kondo – die Eigentümerin des Nippon-ya (japanischer Supermarkt in Wien)
- Herr Prof. Dr. Friedrich Fraberger – ein Professor der Wirtschaftsuniversität Wien sowie Partner der KPMG
- Herr Yasunori Kanda – ein Manager des SV Horn (dieser Fußballverein wurde letztes Jahr von einem japanischen Investor gekauft)
- Herr Takuro Nozawa – ein Mitarbeiter von JETRO (Pendant der WKO Außenhandelsstellen)
- Herr Prof. Wolfgang Mazal – ein Professor der Universität Wien sowie vom BMEIA (Österreichisch – Japanisches Komitee für Zukunftsfragen)
Was wurde da alles diskutiert bzw. worüber wurde informiert?
Gleich vorweg: Es gibt Regeln über Regeln, und ist man Japaner, muss man diese 100 % einhalten. Ein kleiner Schnitzer gilt bereits als Faux-pas. Für uns Ausländer sind gewisse Regeln zwar wichtig und es ist von Vorteil, wenn wir zumindest das Grundgerüst der Abfolgen wissen. Aber es wird uns grundsätzlich mit Nachsicht entgegengekommen.
Es gibt viel Gutes und viele Punkte, die schön wären, hätten wir sie auch in Österreich. Ein Land, das völlig frei von Kritik ist, gibt es jedoch meiner Meinung nach nicht. Dazu eine kleine Video-Empfehlung hier. Vorsicht, der Film ist schon etwas in die Jahre gekommen, trifft meiner Erfahrung nach aber noch großteils zu – wobei natürlich auch Japan starken Veränderungen unterworfen ist.
名刺交換 Meishikoukan [meeschi-kookan]- das Übergeben der Visitenkarten
Ganz klar kam zu allererst das wohl bekannteste Beispiel aus der japanischen Geschäftswelt: das Austauschen der Visitenkarten. Besonders wichtig ist hierbei zu wissen, wer sein Gegenüber ist. In welcher Position. Das sollte man natürlich schon vorher wissen. Denn genau darum geht es – je nach „Ranking“ wird noch mehr Höflichkeit und Etikette erwartet bzw. entgegengebracht. Handelt es sich beim Gegenüber um den den Bereichsleiter, den Abteilungsleiter oder gar den Firmenchef?
Wer weiter unten in der Rangfolge ist – besonders, wenn es sich beim Gegenüber um einen Kunden handelt, beginnt, sich vorzustellen bzw. die Visitenkarte zu überreichen. (Der Firmenchef lässt sich in der Regel übrigens von seinem Mitarbeiter vorstellen). Ganz wichtig ist , dass man die Visitenkarte in Leserichtung des Gegenüber übergibt und mit zwei Händen überreicht bzw. mit zwei Händen entgegennimmt. Das Ganze wird begleitete von einer ca. 30°-Verbeugung. Leicht kann es dazu kommen, dass beide Partner gleichzeitig die Visitenkarte zücken. Auch hier gibt es Regeln (siehe Bild, aus dem Buch Japanese for Business 仕事の日本語).
Zerknitterte Visitenkarten sind genauso ein No-Go wie sofort die „Meishi“ (名刺, jap. für Visitenkarte) in seine Hosentasche zu stecken. Man bringt seinem Gegenüber genauso wie der Visitenkarte Respekt entgegen und schaut sie sich genau an. Am Besten, man betrachtet die Visitenkarte als Teil des Gesprächspartners. D.h.: nichts draufkritzeln, auch keine Notizen! Vielleicht eine kurze, nette und interessierte Bemerkung zu Namen/Logo. Diese Verhaltensweise spiegelt sich in vielen anderen Teilen der (traditionellen) japanischen Kultur wieder. Auch in der Teezeremonie bewundert der Gast die Dekoration, Utensilien (z.B. die Teeschale) und spricht anerkennende Worte aus.
Da manche Teilnehmer noch nicht allzu lange in Österreich verbracht hatten, verglichen vor allem die japanischen Teilnehmer ihre Gepflogenheiten besonders mit der Etikette in den USA, Großbritannien, Frankreich und nicht zuletzt Deutschland. Hierzu kam dann natürlich gleich ein kleiner Einwurf von der österreichischen Seite der Teilnehmer, dass es Unterschiede zwischen uns und unserem großen Nachbarn gibt.
Österreich = Gemütlichkeit?
Was man in Japan weiß: Österreicher und Deutsche haben die gleiche Landessprache. Dass man beide Länder aber nicht in einen Topf werfen sollte, ist nur denjenigen Japanern bekannt, die bereits mit beiden Ländern zu tun hatten. Ein schönes Wort wurde vom Herrn der JETRO in die Diskussion eingebracht: Gemütlichkeit. Er meinte, Gemütlichkeit gäbe es sowohl in Österreich als auch in Japan. Meiner Meinung nach ist japanische „Gemütlichkeit“ nicht so ganz mit unserem Verständnis dieses Wortes zu vereinbaren, zumindest nicht in den gleichen Situationen. Mit einer weiteren Bemerkung zu Ähnlichkeiten/Verschiedenheiten wurde dies dann auch bestätigt. Als Gegenbeispiel, wo wir halt doch nicht so ähnlich sind, wurde der Begriff Pünktlichkeit diskutiert. Für Japaner bedeutet Pünktlichkeit, zumindest 10 Minuten vor der ausgemachten Zeit zu erscheinen. Ist man genau zur ausgemachten Zeit da, ist man eigentlich schon zu spät. Da würde in Japan dann aus unserer akademischen Viertelstunde fast eine halbe werden! Bei uns ist ein zu frühes Kommen manchmal richtig unangenehm für den Gastgeber (besonders, wenn noch nicht alles vorbereitet ist). Von japanischer Seite wurde besonders die Unpünktlichkeit von Lieferanten bzw. Speditionen kritisiert. Ein Beispiel japanischer Pünktlichkeit ist der Shinkansen: Durchschnittliche Verspätung von 6 Sekunden.
Arbeiten in Japan – je mehr (Stunden), desto besser
Ein weiteres Thema, das auch etwas in Richtung Zeitverständnis geht, war die Arbeitszeit. Bekanntermaßen arbeiten Japaner länger und härter. Stress, der bis zum Tod durch Überarbeiten geht, ist kein Mythos. Dies wurde zwar nicht diskutiert, aber von japanischer Seite wurde mit einem Beispiel nahe gelegt, dass etwa Überstunden, die in Österreich durch einen freien Tag ausgeglichen werden, mit Unverständlichkeit begegnet wird. Auf das Warum wurde nicht näher eingegangen. Meiner Meinung nach ist es für Japaner einfach unvorstellbar, dass man Tätigkeiten, die durch einen Urlaub liegen bleiben würden, an seine Kollegen abgibt. Das wäre schlicht und einfach 迷惑, Meiwaku – eine Belästigung, eine Unannehmlichkeit, die man seinem 同僚, Douryou, Kollegen dadurch auferlegen würde. Und das will man tunlichst vermeiden. Grundsätzlich geht man auch nicht nach Hause, solange der Chef noch da ist, wobei sich die Arbeitswelt stückchenweise zu ändern beginnt. Es breitet sich auch in Japan schön langsam aus, dass manche gerne den Abend mit der Familie verbringen möchten.
Es hat zwar nicht unbedingt mit Business Etikette zu tun, aber ich hätte gerne mehr über die Arbeitseffizienz gehört. Ein Punkt, der meiner Meinung nach gerne mal unter den Tisch gekehrt wird und den ich, wenn passend, in unseren Kursen/Workshops vorbringe. Die Effizienz eines „normalen“ japanischen Betriebs mit Arbeitnehmern, die überarbeitet sind und so lange in der Firma sind, dass sie gerade noch den letzten Zug nach Hause erwischen, leidet verständlicherweise. International agierende japanische Firmen sind da vergleichsweise Vorzeigemodelle.
Zusammenleben ohne öffentlichen Affront
Frieden, keine (öffentlichen) Auseinandersetzungen, das ist etwas, das besonders wichtig ist in der japanischen Gesellschaft. Den Chef vor allen anderen zu kritisieren gleicht einer Todessünde; wobei es jedoch in Ordnung scheint, seine Untergebenen für einen Fehler vor anderen bloß zu stellen. Die einzige Möglichkeit, dem Chef seine echte Meinung mitzuteilen, ist in betrunkenem Zustand. Dieser wird beizeiten auch bewusst herbeigeführt. Wenn auch schon weniger verpflichtend als noch vor ein paar Jahren, so sind die Nomikai (飲み会, Trinkgelage nach der Arbeit) ein wichtiger Teil der japanischen Arbeitswelt. Was man aufgrund all der Regeln unter Tags nicht sagen kann, das findet dann mit einem gewissen Promillegehalt im Blut seinen Weg heraus. Manche behaupten, der Chef stelle sich dann sogar betrunken, damit die gestressten Mitarbeiter ein bisschen Luft ablassen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Es gibt da nämlich ein ungeschriebenes Gesetz, dass Dinge, die bei solchen Nomikais passieren, am nächsten Tag in nüchternem Zustand nicht angesprochen werden – auch wenn mal über die Stränge geschlagen wurde. Ich würde es aber eher als Richtlinie bezeichnen.
Geschäftsabschluss – sind wir kompatibel?
Dann ging es um Geschäftsbeziehungen im Allgemeinen. Langfristige Geschäftsbeziehungen werden bevorzugt. Dazu müssen die Verhandlungspartner auf einer Wellenlänge sein. Dies herauszufinden, geht meist über mehrere Meetings, die nicht unbedingt hochformeller Natur sein müssen. Bei Speis und Trank versucht man, sich einander näher zu kommen. Grundsätzlich werden bei Meetings Dinge eher weniger diskutiert, sondern bereits die Ergebnisse präsentiert. Wie kommt es jedoch zu diesen Ergebnissen? Durch genau solche informellen Besprechungen, wo man so lange auf den anderen einredet, bis dieser (vielleicht auch schon genervt) schlussendlich mit dem Vorschlag einverstanden ist. Das ganze nennt sich 根回し, nemawashi. Das erste Kanji bedeutet Wurzel, das zweite rundherum. Die eigentliche Bedeutung ist, die Erde um eine Pflanze herum aufzugraben, damit man sie dann leichter umsetzen kann – hier werden Meinungen „ein- oder umgepflanzt“. Nemawashi ist zeitaufwändig. Der Vorteil ist jedoch, dass dann alle einer Meinung sind und die Entscheidungs-Umsetzung umso schneller passiert – und von ALLEN mitgetragen wird. Anderer Meinung als die Gruppe zu sein, oder überhaupt anders zu denken/zu handeln als die Gruppe, wird nicht gern gesehen.
Verträge sind in der Arbeitswelt natürlich wichtig. Sie sind aber nicht in Stein gemeißelt, eigentlich eher eine Art Arbeitsgrundlage. Eine Zusammenarbeit, ein Auftrag, ein abgeschlossenes Geschäft gilt in Japan eigentlich als gescheitert, wenn man vor den Kadi ziehen muss. Sozusagen die letzte Instanz. Lieber trifft man sich x-Mal, um das ganze zu besprechen und Einigkeit zu finden. Eigentlich eine Win-Win-Situation, oder? Kein geiferndes Hick-Hack, kein kurzfristiger Gewinn auf Kosten anderer, kein Bloßstellen und Schlechtreden des Geschäftspartners.
Übrigens: In Japan wird eher selten eine Unterschrift wie bei uns getätigt, sondern ein Stempel (印鑑, inkan) mit seinem Namen in Kanji/Hiragana verwendet (für Ausländer auch in Katakana).
Klar ist nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen. Aber es wird dem Gegenüber einfach mehr Respekt entgegengebracht. Und es muss schon etwas ziemlich Schlimmes passieren, um einen Japaner in der Öffentlichkeit „ausrasten“ zu sehen. Das ist mir erst einmal passiert – in Kyoto am Bahnhof – wo lange Zeit versucht wurde, den Mann zu beschwichtigen, bis er dann von der Polizei (sie machte das, ohne handgreiflich zu werden) abgeholt wurde.
Und das ist das Schöne in Japan, wenn man Kunde ist. Hier ist man wirklich Kaiser. Kein lästiges Anschnauzen, kein Ignoriertwerden, man fühlt sich nicht so, als würde man die Verkäufer bei ihrer Arbeit stören, weil man etwas kaufen möchte. Vom obligatorischen Verbeugen bis zum Wunsch-von-den-Augen-ablesen ist man um den お客様 (Okyaku-sama, dem ehrenwerten Kunden) bemüht.
Japaner haben schon fast Schockzustände, wenn sie dann nach Europa kommen und ein ähnlich zuvorkommendes Verhalten erwarten. Ich erzähle dann gerne die Geschichte vom Louis-Vuitton-Taschenkauf in europäischen Hauptstädten (bei uns sind sie billiger als in Japan) oder der Paris-Depression. Dieses Phänomen passiert aufgrund der weit auseinanderklaffenden Kluft zwischen japanischer Vorstellung und (nicht perfekter) Wirklichkeit.
Kulturelles Verständnis und Sprache
Zurück zum eigentlichen Thema. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, die japanische Sprache anzusprechen, wobei Sprache nur ein Teil der Kultur und der Denkweise ist. Meist erzähle ich gleich zu Anfang von den Wörtern „Ja“ und „Nein“. Ersteres heißt nicht zwangsläufig, „ja, ich stimme dir zu“ und auch nicht „ja, ich habe dich verstanden“, sondern: „ja, ich höre dir zu“. Und das ist der springende Punkt für uns Ausländer. Nur weil Japaner zu allem „ja“ sagt, heißt das noch lange nicht, dass der Deal steht. „Nein“ wird nämlich nur äußerst selten verwendet – eben um keinen öffentlichen Affront zu begehen. Da gibt es so kleine Wörtchen wie „chotto“ ちょっと, ein bisschen. Mit diesem Wort alleine weiß das Gegenüber sofort, ok, das funktioniert so nicht, da stimmt was nicht, das passt meinem Gesprächspartner nicht. Zwischen den Zeilen lesen, auf Japanisch 空気を読む – die Luft lesen, kuuki wo yomu. Das ist eine Kunst. Eine Kunst, die man können sollte, um auf japanischem Wirtschaftsparkett und auch im Privatleben erfolgreich zu sein.
Und da sind wir, Japaner und Österreicher, uns nicht so unähnlich. Auch wir formulieren Manches indirekt, sagen nicht immer frei heraus, was wir uns denken… nur halt nicht auf dem gleichen Niveau.
Es schadet auf keinen Fall, sich grundlegende Japanischkenntnisse anzueignen. Japanisch lernen scheint auf den ersten Blick anstrengend und schwierig, wird aber sehr positiv aufgenommen.
Werteverständnis
Eigentlich wäre es natürlich am besten, wenn wir das, was wir machen, auch lieben. Und da sind uns manche Japaner voraus. Sie versuchen, auch bei einer noch so schlechten Arbeit, das Schöne daran zu finden und verrichten diese Tätigkeit dann mit Inbrunst. Arbeitslosigkeit ist in Japan übrigens eine Schande. So mancher Japaner, der den Arbeitsplatz verloren hat (kommt jetzt doch öfter vor als noch vor der Bubble bzw. dem Tohoku-Erdbeben) verschweigt dies seiner Familie und geht normal außer Haus, um den Schein zu wahren.
Mottainai – „es wäre schade, wenn etwas verschwendet wird“ – ist eines DER Wörter und Konstrukte, die wir mehr zu uns bringen sollten. Das verwenden, was man zur Verfügung hat – und es Schritt für Schritt verbessern – damit sind die Japaner bisher gut gefahren. Und den Respekt zu Mensch und Natur – sich zu besinnen auf typisch japanische Werte angesichts fortschreitender Internationalisierung schien von beiden Seiten, Österreichern und Japanern, sehr wichtig zu sein.
Was am Ende vom Tag zählt
Schlussendlich finde ich folgende Punkte wichtig, wenn man mit japanischen Firmen zu tun hat: die japanische Kultur zu respektieren und zu würdigen, sie versuchen zu verstehen und sich zu bemühen, das Wichtigste vom Wichtigsten 基本の基本, (kihon no kihon) der japanischen Etikette, in das eigene Verhalten einfließen zu lassen. Bescheidenheit, Zurückhaltung, Zuhören, Interesse am Gegenüber und der Kultur zeigen. Auch wenn es paradox klingen mag: sich nicht (zu sehr) verbiegen – Authentizität, sich selbst treu bleiben. Dann „klappt’s auch mit den Japanern“.
Ganz klar kam zu allererst das wohl bekannteste Beispiel aus der japanischen Geschäftswelt: das Austauschen der Visitenkarten. Besonders wichtig ist hierbei zu wissen, wer sein Gegenüber ist. In welcher Position. Das sollte man natürlich schon vorher wissen. Denn genau darum geht es – je nach „Ranking“ wird noch mehr Höflichkeit und Etikette erwartet bzw. entgegengebracht. Handelt es sich beim Gegenüber um den den Bereichsleiter, den Abteilungsleiter oder gar den Firmenchef?
Wer weiter unten in der Rangfolge ist – besonders, wenn es sich beim Gegenüber um einen Kunden handelt, beginnt, sich vorzustellen bzw. die Visitenkarte zu überreichen. (Der Firmenchef lässt sich in der Regel übrigens von seinem Mitarbeiter vorstellen). Ganz wichtig ist , dass man die Visitenkarte in Leserichtung des Gegenüber übergibt und mit zwei Händen überreicht bzw. mit zwei Händen entgegennimmt. Das Ganze wird begleitete von einer ca. 30°-Verbeugung. Leicht kann es dazu kommen, dass beide Partner gleichzeitig die Visitenkarte zücken. Auch hier gibt es Regeln (siehe Bild, aus dem Buch Japanese for Business 仕事の日本語).
Zerknitterte Visitenkarten sind genauso ein No-Go wie sofort die „Meishi“ (名刺, jap. für Visitenkarte) in seine Hosentasche zu stecken. Man bringt seinem Gegenüber genauso wie der Visitenkarte Respekt entgegen und schaut sie sich genau an. Am Besten, man betrachtet die Visitenkarte als Teil des Gesprächspartners. D.h.: nichts draufkritzeln, auch keine Notizen! Vielleicht eine kurze, nette und interessierte Bemerkung zu Namen/Logo. Diese Verhaltensweise spiegelt sich in vielen anderen Teilen der (traditionellen) japanischen Kultur wieder. Auch in der Teezeremonie bewundert der Gast die Dekoration, Utensilien (z.B. die Teeschale) und spricht anerkennende Worte aus.
Da manche Teilnehmer noch nicht allzu lange in Österreich verbracht hatten, verglichen vor allem die japanischen Teilnehmer ihre Gepflogenheiten besonders mit der Etikette in den USA, Großbritannien, Frankreich und nicht zuletzt Deutschland. Hierzu kam dann natürlich gleich ein kleiner Einwurf von der österreichischen Seite der Teilnehmer, dass es Unterschiede zwischen uns und unserem großen Nachbarn gibt.
Österreich = Gemütlichkeit?
Was man in Japan weiß: Österreicher und Deutsche haben die gleiche Landessprache. Dass man beide Länder aber nicht in einen Topf werfen sollte, ist nur denjenigen Japanern bekannt, die bereits mit beiden Ländern zu tun hatten. Ein schönes Wort wurde vom Herrn der JETRO in die Diskussion eingebracht: Gemütlichkeit. Er meinte, Gemütlichkeit gäbe es sowohl in Österreich als auch in Japan. Meiner Meinung nach ist japanische „Gemütlichkeit“ nicht so ganz mit unserem Verständnis dieses Wortes zu vereinbaren, zumindest nicht in den gleichen Situationen. Mit einer weiteren Bemerkung zu Ähnlichkeiten/Verschiedenheiten wurde dies dann auch bestätigt. Als Gegenbeispiel, wo wir halt doch nicht so ähnlich sind, wurde der Begriff Pünktlichkeit diskutiert. Für Japaner bedeutet Pünktlichkeit, zumindest 10 Minuten vor der ausgemachten Zeit zu erscheinen. Ist man genau zur ausgemachten Zeit da, ist man eigentlich schon zu spät. Da würde in Japan dann aus unserer akademischen Viertelstunde fast eine halbe werden! Bei uns ist ein zu frühes Kommen manchmal richtig unangenehm für den Gastgeber (besonders, wenn noch nicht alles vorbereitet ist). Von japanischer Seite wurde besonders die Unpünktlichkeit von Lieferanten bzw. Speditionen kritisiert. Ein Beispiel japanischer Pünktlichkeit ist der Shinkansen: Durchschnittliche Verspätung von 6 Sekunden.
Arbeiten in Japan – je mehr (Stunden), desto besser
Ein weiteres Thema, das auch etwas in Richtung Zeitverständnis geht, war die Arbeitszeit. Bekanntermaßen arbeiten Japaner länger und härter. Stress, der bis zum Tod durch Überarbeiten geht, ist kein Mythos. Dies wurde zwar nicht diskutiert, aber von japanischer Seite wurde mit einem Beispiel nahe gelegt, dass etwa Überstunden, die in Österreich durch einen freien Tag ausgeglichen werden, mit Unverständlichkeit begegnet wird. Auf das Warum wurde nicht näher eingegangen. Meiner Meinung nach ist es für Japaner einfach unvorstellbar, dass man Tätigkeiten, die durch einen Urlaub liegen bleiben würden, an seine Kollegen abgibt. Das wäre schlicht und einfach 迷惑, Meiwaku – eine Belästigung, eine Unannehmlichkeit, die man seinem 同僚, Douryou, Kollegen dadurch auferlegen würde. Und das will man tunlichst vermeiden. Grundsätzlich geht man auch nicht nach Hause, solange der Chef noch da ist, wobei sich die Arbeitswelt stückchenweise zu ändern beginnt. Es breitet sich auch in Japan schön langsam aus, dass manche gerne den Abend mit der Familie verbringen möchten.
Es hat zwar nicht unbedingt mit Business Etikette zu tun, aber ich hätte gerne mehr über die Arbeitseffizienz gehört. Ein Punkt, der meiner Meinung nach gerne mal unter den Tisch gekehrt wird und den ich, wenn passend, in unseren Kursen/Workshops vorbringe. Die Effizienz eines „normalen“ japanischen Betriebs mit Arbeitnehmern, die überarbeitet sind und so lange in der Firma sind, dass sie gerade noch den letzten Zug nach Hause erwischen, leidet verständlicherweise. International agierende japanische Firmen sind da vergleichsweise Vorzeigemodelle.
Zusammenleben ohne öffentlichen Affront
Frieden, keine (öffentlichen) Auseinandersetzungen, das ist etwas, das besonders wichtig ist in der japanischen Gesellschaft. Den Chef vor allen anderen zu kritisieren gleicht einer Todessünde; wobei es jedoch in Ordnung scheint, seine Untergebenen für einen Fehler vor anderen bloß zu stellen. Die einzige Möglichkeit, dem Chef seine echte Meinung mitzuteilen, ist in betrunkenem Zustand. Dieser wird beizeiten auch bewusst herbeigeführt. Wenn auch schon weniger verpflichtend als noch vor ein paar Jahren, so sind die Nomikai (飲み会, Trinkgelage nach der Arbeit) ein wichtiger Teil der japanischen Arbeitswelt. Was man aufgrund all der Regeln unter Tags nicht sagen kann, das findet dann mit einem gewissen Promillegehalt im Blut seinen Weg heraus. Manche behaupten, der Chef stelle sich dann sogar betrunken, damit die gestressten Mitarbeiter ein bisschen Luft ablassen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Es gibt da nämlich ein ungeschriebenes Gesetz, dass Dinge, die bei solchen Nomikais passieren, am nächsten Tag in nüchternem Zustand nicht angesprochen werden – auch wenn mal über die Stränge geschlagen wurde. Ich würde es aber eher als Richtlinie bezeichnen.
Geschäftsabschluss – sind wir kompatibel?
Dann ging es um Geschäftsbeziehungen im Allgemeinen. Langfristige Geschäftsbeziehungen werden bevorzugt. Dazu müssen die Verhandlungspartner auf einer Wellenlänge sein. Dies herauszufinden, geht meist über mehrere Meetings, die nicht unbedingt hochformeller Natur sein müssen. Bei Speis und Trank versucht man, sich einander näher zu kommen. Grundsätzlich werden bei Meetings Dinge eher weniger diskutiert, sondern bereits die Ergebnisse präsentiert. Wie kommt es jedoch zu diesen Ergebnissen? Durch genau solche informellen Besprechungen, wo man so lange auf den anderen einredet, bis dieser (vielleicht auch schon genervt) schlussendlich mit dem Vorschlag einverstanden ist. Das ganze nennt sich 根回し, nemawashi. Das erste Kanji bedeutet Wurzel, das zweite rundherum. Die eigentliche Bedeutung ist, die Erde um eine Pflanze herum aufzugraben, damit man sie dann leichter umsetzen kann – hier werden Meinungen „ein- oder umgepflanzt“. Nemawashi ist zeitaufwändig. Der Vorteil ist jedoch, dass dann alle einer Meinung sind und die Entscheidungs-Umsetzung umso schneller passiert – und von ALLEN mitgetragen wird. Anderer Meinung als die Gruppe zu sein, oder überhaupt anders zu denken/zu handeln als die Gruppe, wird nicht gern gesehen.
Verträge sind in der Arbeitswelt natürlich wichtig. Sie sind aber nicht in Stein gemeißelt, eigentlich eher eine Art Arbeitsgrundlage. Eine Zusammenarbeit, ein Auftrag, ein abgeschlossenes Geschäft gilt in Japan eigentlich als gescheitert, wenn man vor den Kadi ziehen muss. Sozusagen die letzte Instanz. Lieber trifft man sich x-Mal, um das ganze zu besprechen und Einigkeit zu finden. Eigentlich eine Win-Win-Situation, oder? Kein geiferndes Hick-Hack, kein kurzfristiger Gewinn auf Kosten anderer, kein Bloßstellen und Schlechtreden des Geschäftspartners.
Übrigens: In Japan wird eher selten eine Unterschrift wie bei uns getätigt, sondern ein Stempel (印鑑, inkan) mit seinem Namen in Kanji/Hiragana verwendet (für Ausländer auch in Katakana).
Klar ist nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen. Aber es wird dem Gegenüber einfach mehr Respekt entgegengebracht. Und es muss schon etwas ziemlich Schlimmes passieren, um einen Japaner in der Öffentlichkeit „ausrasten“ zu sehen. Das ist mir erst einmal passiert – in Kyoto am Bahnhof – wo lange Zeit versucht wurde, den Mann zu beschwichtigen, bis er dann von der Polizei (sie machte das, ohne handgreiflich zu werden) abgeholt wurde.
Und das ist das Schöne in Japan, wenn man Kunde ist. Hier ist man wirklich Kaiser. Kein lästiges Anschnauzen, kein Ignoriertwerden, man fühlt sich nicht so, als würde man die Verkäufer bei ihrer Arbeit stören, weil man etwas kaufen möchte. Vom obligatorischen Verbeugen bis zum Wunsch-von-den-Augen-ablesen ist man um den お客様 (Okyaku-sama, dem ehrenwerten Kunden) bemüht.
Japaner haben schon fast Schockzustände, wenn sie dann nach Europa kommen und ein ähnlich zuvorkommendes Verhalten erwarten. Ich erzähle dann gerne die Geschichte vom Louis-Vuitton-Taschenkauf in europäischen Hauptstädten (bei uns sind sie billiger als in Japan) oder der Paris-Depression. Dieses Phänomen passiert aufgrund der weit auseinanderklaffenden Kluft zwischen japanischer Vorstellung und (nicht perfekter) Wirklichkeit.
Kulturelles Verständnis und Sprache
Zurück zum eigentlichen Thema. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, die japanische Sprache anzusprechen, wobei Sprache nur ein Teil der Kultur und der Denkweise ist. Meist erzähle ich gleich zu Anfang von den Wörtern „Ja“ und „Nein“. Ersteres heißt nicht zwangsläufig, „ja, ich stimme dir zu“ und auch nicht „ja, ich habe dich verstanden“, sondern: „ja, ich höre dir zu“. Und das ist der springende Punkt für uns Ausländer. Nur weil Japaner zu allem „ja“ sagt, heißt das noch lange nicht, dass der Deal steht. „Nein“ wird nämlich nur äußerst selten verwendet – eben um keinen öffentlichen Affront zu begehen. Da gibt es so kleine Wörtchen wie „chotto“ ちょっと, ein bisschen. Mit diesem Wort alleine weiß das Gegenüber sofort, ok, das funktioniert so nicht, da stimmt was nicht, das passt meinem Gesprächspartner nicht. Zwischen den Zeilen lesen, auf Japanisch 空気を読む – die Luft lesen, kuuki wo yomu. Das ist eine Kunst. Eine Kunst, die man können sollte, um auf japanischem Wirtschaftsparkett und auch im Privatleben erfolgreich zu sein.
Und da sind wir, Japaner und Österreicher, uns nicht so unähnlich. Auch wir formulieren Manches indirekt, sagen nicht immer frei heraus, was wir uns denken… nur halt nicht auf dem gleichen Niveau.
Es schadet auf keinen Fall, sich grundlegende Japanischkenntnisse anzueignen. Japanisch lernen scheint auf den ersten Blick anstrengend und schwierig, wird aber sehr positiv aufgenommen.
Werteverständnis
Eigentlich wäre es natürlich am besten, wenn wir das, was wir machen, auch lieben. Und da sind uns manche Japaner voraus. Sie versuchen, auch bei einer noch so schlechten Arbeit, das Schöne daran zu finden und verrichten diese Tätigkeit dann mit Inbrunst. Arbeitslosigkeit ist in Japan übrigens eine Schande. So mancher Japaner, der den Arbeitsplatz verloren hat (kommt jetzt doch öfter vor als noch vor der Bubble bzw. dem Tohoku-Erdbeben) verschweigt dies seiner Familie und geht normal außer Haus, um den Schein zu wahren.
Mottainai – „es wäre schade, wenn etwas verschwendet wird“ – ist eines DER Wörter und Konstrukte, die wir mehr zu uns bringen sollten. Das verwenden, was man zur Verfügung hat – und es Schritt für Schritt verbessern – damit sind die Japaner bisher gut gefahren. Und den Respekt zu Mensch und Natur – sich zu besinnen auf typisch japanische Werte angesichts fortschreitender Internationalisierung schien von beiden Seiten, Österreichern und Japanern, sehr wichtig zu sein.
Was am Ende vom Tag zählt
Schlussendlich finde ich folgende Punkte wichtig, wenn man mit japanischen Firmen zu tun hat: die japanische Kultur zu respektieren und zu würdigen, sie versuchen zu verstehen und sich zu bemühen, das Wichtigste vom Wichtigsten 基本の基本, (kihon no kihon) der japanischen Etikette, in das eigene Verhalten einfließen zu lassen. Bescheidenheit, Zurückhaltung, Zuhören, Interesse am Gegenüber und der Kultur zeigen. Auch wenn es paradox klingen mag: sich nicht (zu sehr) verbiegen – Authentizität, sich selbst treu bleiben. Dann „klappt’s auch mit den Japanern“.